#MeToo – Und was nun?

chris

DER ÖFFENTLICHE AUFSCHREI

Unter dem Hashtag #MeToo hat sich in den vergangenen Wochen eine globale Bewegung formiert. Was wird nun daraus?

Millionen von Menschen berichten in den sozialen Netzwerken von Belästigungen, sexuellen Übergriffen und Vergewaltigungen, die sie buchstäblich am eigenen Leib erlebt haben.

Die Mehrzahl unter ihnen sind Frauen und Mädchen. Auslöser für diese Outings waren wohl die jüngst publik gemachten Verfehlungen des US-Filmproduzenten Harvey Weinstein.

Unter #MeToo melden sich allerdings nicht nur Hollywoodstars zu Wort.

Frauen aus allen Teilen dieser Welt, aus jeglichen Bevölkerungsschichten und allen Altersgruppen erzählen ihre Geschichten. In vielen unterschiedlichen Sprachen. Im Kern sind es stets die selben Erfahrungen.

Die Kampagne sorgt weltweit für gehöriges Aufsehen. So hat unter anderem DER SPIEGEL diesem Thema seine aktuelle deutsche Ausgabe gewidmet.

Sprechen wir also ganz offen und ganz öffentlich über Sexismus. Angeregt durch die unzähligen Frauen und Mädchen, die ihre oft traumatischen Erlebnisse mit uns teilen.


Digital macht stark

Im digitalen Zeitalter ist es für jedermann und jederfrau deutlich einfacher geworden, die eigene Stimme zu erheben.

Missstände können auf diese Weise direkt und schonungslos aufgedeckt werden.

Für diejenigen, die es traditionell gewohnt sind, die Dinge unter den Teppich zu kehren, wird es daher nun immer enger.

Um Macht über Menschen ausüben zu können, muss man diese möglichst dumm, arm, und schwach halten.

Und man muss sie von Kommunikationsmöglichkeiten fern halten. Wer über zu viele Informationen verfügt, und sich mit anderen effektiv vernetzen kann, ist nicht mehr gut regierbar.


Es geht um viel mehr als Sexismus

Passenderweise lautet der Titel des Spiegel daher auch nicht etwa „Sexismus 2017“.

Er lautet vielmehr „Macht und Missbrauch“.

Die engagierten Journalisten erkennen dabei nämlich, dass der hier zur Rede stehende Sexismus zum Nachteil von Frauen und Mädchen nur eine der zahlreichen Erscheinungsformen des total normalen Machtmissbrauchs ist.

Wenngleich auch eine besonders schwerwiegende, perfide und seit Jahrtausenden gesellschaftlich fest verwurzelte Form des Machtmissbrauchs. Eine Form, bei der der Missbrauch bei genauem Hinsehen sofort deutlich ins Auge springt.

Ein solcher Machtmissbrauch kann nur wachsen und gedeihen, weil wir in einer gut gefestigten Machtkultur leben. 

Die Idee der Über-und Unterordnung gehört für uns zu den selbstverständlichsten Konzepten des menschlichen Zusammenlebens.

Wann immer zwei oder mehr Menschen beisammen sind, geht es früher oder später um die Frage, wer wen befehligen sollte.

Die Machfantasien einer Jamaika-Koalition unterscheiden sich auf dieser Ebene somit kaum von denen einer islamischen Terrormiliz.

Irgendeiner muss es immer besser wissen. Muss grösser, schwerer, länger, lauter, intelligenter oder sonst irgendwie überlegen erscheinen. Der nimmt sich dann die Macht und bestimmt fortan über alle anderen.

Oder er bekommt die Macht sogar freiwillig übertragen. Menschen ordnen sich zuweilen tatsächlich in vollem Bewusstsein fremden Machtkonzepten unter und geben ihre eigene Macht teilweise oder vollständig ab.


Im Westen nichts Neues. Im Norden, Osten, Süden auch nicht.

Wer sich als OhnMächtiger auf ein solch lebensgefährliches Spiel einlässt, muss grosses Vertrauen haben. Er muss darauf setzen, das der oder die Machthaber ihre Macht eben nicht missbrauchen.

Für Frauen und Mädchen geht diese Form des Russischen Roulettes seit Anbeginn der Menschheit tendenziell eher schlecht aus.

Der Deal lautet dabei in etwa wie folgt.

  1. Wir (die starken und mächtigen Männer), beschützen euch (die schwachen und wehrlosen Frauen) vor was auch immer. Im Gegenzug habt ihr uns unbedingten Gehorsam zu leisten.
  2. Diese Machtvereinbarung ist nur zu eurem Besten und selbstverständlich freiwilliger Natur. 
  3. Von Absatz 2. kann jederzeit abgewichen werden.

Die Daten, die die Journalisten hierzu recherchiert haben, liefern indes wenig Neues.  

So berichten sie von repräsentativen und weniger repräsentativen Umfragen, bei denen bis zu 84 % der befragten Frauen in Deutschland angeben, schon mindestens einmal Opfer sexueller Belästigung geworden zu sein.

Sie wissen auch, dass die Zahl der in Deutschland aktenkundig gewordenen Fälle von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung von 2015 auf 2016 erneut um über 1.300 gestiegen ist.

Sie zeigen Geheimnisse auf, die längst keine mehr sind.

Dass es immer noch allfällige Lohnlücken bei der Bezahlung von Männlein und Weiblein gibt.

Dass das deutsche Parlament mit seinen 709 Abgeordneten nun nach China zwar das zweitgrösste der Welt ist, die Frauenquote dort aber unter der von Tunesien liegt.


Heute ist nicht Gestern

Und dennoch sind die aktuellen Wortmeldungen und die ihnen zukommende mediale Aufmerksamkeit von unschätzbarem Wert.

Unter dem Hashtag #MeToo ist das weltweit wohl umfassendste Archiv dokumentierter Missbrauchsfälle entstanden. 

Erschaffen nicht von irgendwelchen Statistikern, sondern von denen, die es direkt betrifft.

Es ist extrem wichtig, dass Frauen mit ihren Geschichten aus der Anonymität und damit aus der passiven Opferrolle kommen.

Es ist gut und richtig, wenn konstruktiverJournalismus hierbei unterstützt.

Entscheidend ist nun allerdings, ob #MeToo eine weitere der vielen Erregungswellen bleibt, die genauso schnell wieder abebbt, wie sie entstanden ist.


Oder ob #MeToo zu echten und nachhaltigen Veränderungen der nun weithin bekannten Missstandssituation führt.

Das Problem ist hinreichend dargestellt. Niemand wird in Zukunft mehr behaupten können, er habe von nichts gewusst.

Jetzt geht es darum, ob wir als Gesellschaft tatsächlich eine andere Zukunft wollen.


Aus #MeToo wird #NotMe

Was es jetzt braucht, ist die nächste Welle. Lass uns jetzt die Geschichten hören, von Menschen, die nicht länger bereit sind, die ihnen zugedachte Opferrolle zu akzeptieren.

Was wir tun könnten...

  • Lass Frauen und Mädchen berichten, die eine klare Entscheidung getroffen haben. Die Entscheidung "Mit mir nicht. Niemals."
  • Lass uns Millionen von Stimmen hören, die beweisen, dass es auch anders geht. Es gibt diese Geschichten da draussen. So wie diese hier.
  • Lass uns die Gegen-Fakten liefern zum Volksmärchen vom schwachen Geschlecht.
  • Lass uns Zahlen schreiben von erfolgreichen Frauen, die nicht bereit waren, sich irgendwelchen Machtfantasien zu beugen.
  • Lass uns Medien finden, die diesen Gedanken mit tragen.
  • Lass uns von einer Machtkultur zu einer Stärkekultur wechseln.
  • Lass uns #NotMe sein.

 

Butter bei die Fische

Hier bei YCF! machen wir seit jeher nichts anderes, als daran mitzuwirken, dass noch mehr #NotMe Geschichten in die Welt gelangen.

Unsere Trainingsprogramme sind echte Einbahnstrassen. Männer und Frauen, die mit diesen Konzepten in Berührung kommen, können nie wieder zurück in die Opferrolle.

In vielen von ihnen wächst dabei der Wunsch, weiterzugeben, was sie selbst erfahren haben:

Ich muss kein Oper sein. Niemand muss ein Opfer sein. Not Me!

Starke Menschen sind das einzig zuverlässige Mittel gegen die Ausweitung jeglicher Macht- und Gewaltkulturen.

Starke Menschen sind das Ergebnis der erforderlichen Kehrwende in Bezug auf die bisherige gesellschaftliche Marschrichtung, in deren Schatten Sexismus und anderweitiger Machtmissbrauch prächtig gedeihen können.

Starke Menschen sind die alternative Vision zu Machtfantasien jeglicher Prägung. 

Die #NotMe Bewegung ist in Bewegung.

Du bist herzlich eingeladen, ein Teil davon zu sein.


Von Mann zu Mensch

Natürlich mangelt es insbesondere in der deutschen #MeToo Debatte auch nicht an Appellen. Die meisten davon richten sich an "die Männer" als Gesamtheit.

Ich darf mich also berechtigterweise der Frage stellen

"Mann Chris, welchen Beitrag leistest du persönlich eigentlich hier?"

Die Antwort darauf werde ich in Kürze in einem weiteren Artikel geben.

Ausserdem werde ich meine eigene #MeToo Story erzählen, denn auch ich war schon einmal Opfer sexueller Belästigung.

Diese Geschichte ist jetzt über 20 Jahre her und sie hat zu einer ganz bestimmten Entscheidung in meinem Leben geführt.

Deshalb ist sie aus meiner Sicht zugleich eine #NotMe Story.


 

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